Unter
Syndromen versteht man in der Medizin Krankheiten, bei denen verschiedene
Krankheitssymptome in einer typischen Kombination vorliegen. Sie können
durch Chromosomenanomalien oder Genmutationen zustande kommen. Bei Chromosomenanomalien
findet man zu viele, zu wenige oder abgebrochene Chromosomen. Bei Genmutationen
sind bestimmte Basenpaare im Chromosom ausgetauscht. Dies alles kann bei
Ihrem Kind untersucht werden. Wenn Sie mehr darüber wissen möchten,
z.B. ob das Syndrom vererbt werden kann, lassen Sie sich bitte humangenetisch
beraten! Wo dies möglich ist, teilt Ihnen die Deutsche
Gesellschaft für Humangenetik oder Ihre nächstgelegene Praxis
oder Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie mit.
Da die Gene für die Anlage von Ohrmuschel,
Gehörgang, Mittelohr, Innenohr, Hörnerv und Gehirn auf vielen
Chromosomen verteilt sind, ist bei sehr vielen Syndromen zusätzlich
mit verschiedensten Hörstörungen zu rechnen. (Ähnliches
gilt übrigens auch für das Sehorgan.) Da Hören, genauso
wie Sehen und Tasten, für die Entwicklung, besonders Sprachentwicklung,
unabdingbar wichtig ist, sollte das Hör- und Sehvermögen
bei jedem Syndrom geprüft werden. Vergessen Sie bitte nicht,
daß Hören, Sehen und Fühlen die wichtigsten Informationen
liefern, um zu lernen und sich in der Umwelt zurecht zu finden; Riechen
und Schmecken sind eher für die emotionale Entwicklung wichtig. Viele
Kinder entwickeln sich nach Verbesserung des Hörvermögens (z.B.
Paukenröhrchen,
Hörgeräte)
und Optimierung des Sehvermögens (z.B. Brille) viel besser, als es
in manchen Nachschlagewerken über Syndrome verzeichnet ist! Deshalb
ist anzunehmen, daß manche "Entwicklungsstörung"
oder "geisitge Behinderung" eigentlich auf das Konto einer nicht
ausreichend behandelten Sinnesbehinderung geht.
Veränderungen der Ohrmuschel
Kinder mit Syndromen weisen manchmal Formanomalien der Ohrmuschel auf.
Die funktionellen Auswirkungen sind nur gering, d.h. der Hörverlust
beträgt für Schall von vorne nur wenige Dezibel. Die kosmetischen
Auswirkungen können z.B. plastisch-chirurgisch (durch Hals-Nasen-Ohrenärzte)
oder mit sog. Epithesen gemildert werden. Pauschale Ratschläge
sind nicht möglich. Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater und
Pädaudiologen darüber.
Veränderungen des Gehörgangs
Viele Kinder mit Syndromen haben sehr enge Gehörgänge. Dies
ist an sich noch nicht schlimm, denn der Schall kann auch durch enge Gehörgänge
weitergeleitet werden. Allerdings ist die Selbstabstoßung des Ohrschmalzes
(Cerumen) behindert, so daß enge Gehörgänge gelegentlich
verstopft sind und die Kinder schlechter hören. Bei solchen Kindern
sollten die Gehörgänge regelmäßig durch einen Facharzt
(Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder Phoniater und Pädaudiologen) von Cerumen
befreit werden. Dies ist auch dann wichtig, wenn Kinder mit engen Gehörgängen
Hörgeräte tragen. Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater und
Pädaudiologen darüber.
Veränderungen und Erkrankungen
des Mittelohres
Bei Syndromen können zweierlei Mittelohrprobleme auftreten: Erstens
angeborene Mittelohrfehlbildungen, die den Schalltransport in das Innenohr
dauerhaft behindern. Solche Schwerhörigkeiten können entweder
mit Hörgeräten versorgt werden, oder das Mittelohr wird operativ
"repariert". Zweitens treten bei Kindern mit Syndromen aus verschiedenen
Gründen häufiger als bei gesunden Kindern Mitterohrergüsse
(Paukenergüsse auf). Diese können mit einer Entfernung der Rachenmandel
(niemals aber bei Gaumenspalten
oder Gaumensegelschwäche!) und mit Paukenröhrchen
behandelt werden. Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater und Pädaudiologen
darüber.
Veränderungen und Erkrankungen
des Innenohres
Innenohrschwerhörigkeiten werden mit Hörgeräten
versorgt. Meist sind akustische Hörgeräte ausreichend. Je nach
Art der Schwerhörigkeit kommen für Kinder sog. HdO-Geräte
(Hinter-dem-Ohr-Geräte), Knochenleitungs-Stirnband-Hörgeräte
in Frage. Bei hochgradigen Schwerhörigkeiten oder Taubheiten können
auch elektrische Hörgeräte (Cochlear
Implant) verwendet werden. Dieser operative Eingriff wird von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten
durchgeführt. Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater und Pädaudiologen
darüber.
Veränderungen und Erkrankungen
von Hörnerv und Gehirn
Hörnerv und Gehirn sind für eine Vorverarbeitung, Weiterverarbeitung
und Wahrnehmung des Gehörten zuständig. Besonders Kinder, die
zusätzlich anatomische Auffälligkeiten im Bereich des Gehirns
aufweisen oder entwicklungsverzögert sind, haben Hörverarbeitungs-
und Wahrnehmungsstörungen.
Detaillierte und fundierte Informationen
über nahezu alle vererbbaren Syndrome finden Sie auf der Homepage
der OMIM
(in englischer Sprache).
Über einige Syndrome ist aus phoniatrisch-pädaudiologischer
Erfahrung Wichtiges zu ergänzen, das in manchen Nachschlagewerken
über Syndrome fehlt:
DiGeorge-Syndrom (Synonym: DiGeorge-Sequenz)
Die Unterkieferhypoplasie beim DiGeorge-Syndrom (siehe auch OMIM)
führt zu mundmotorischen Störungen einschließlich Mittelohrbelüftungsstörungen.
Innenohrschwerhörigkeiten sind nicht typisch für dieses Syndrom.
Selbsthilfegruppe: http://www.kids-22q11.de
Down-Syndrom (engl., sprich Daun-Syndrom;
Synonym: Morbus Down, Trisomie 21; nicht mehr verwenden, da stigmatisierend:
Mongolismus, noch schlimmer: Mongölchen!!!)
Das Down-Syndrom
ist eines der häufigsten angeborenen Syndrome. Es handelt sich um
eine Trisomie des Chromosoms 21, d.h., das Chromosom 21 ist dreifach statt
zweifach vorhanden. Wenn dies nur in einem Teil der Körperzellen
und nicht in allen der Fall ist, spricht man von einer "Mosaik-Trisomie
21". Die Symptome sind dann meist nicht so stark ausgeprägt.
Kinder mit Down-Syndrom haben zu etwa 90
% wechselnde und wechselseitige Mittelohrschwerhörigkeiten und Paukenergüsse.
Die Paukenergüsse sind machmal permanent über mehrere Monate
vorhanden, manchmal nur für einige Wochen oder auch nur Tage. Trotzdem
wird die (Sprach-) Entwicklung erheblich gestört, weil die Kontinuität
des normalen Hörens unterbrochen wird und die Kinder die zu erlernende
Sprache immer anders wahrnehmen. Deshalb sollte man diese Schwerhörigkeiten
sicher beseitigen, meist mit einer Entfernung der Racxhenmandel (Adenotomie).
Da viele Kinder wegen der gleichzeitigen Störung der Mundmotorik
auch nach Adenotomie weiterhin Paukenergüsse bekommen, sollte man
den Eingriff gleich mit Einlage von Paukenröhrchen planen! Sind über
mehrere Jahre Paukenröhrchen notwendig sein, stehen dauerhaft verweilende
zur Verfügung.
Einige Kinder (um etwa 10 %) haben zusätzliche, meist geringgradige,
Innenohrschwerhörigkeiten, die mit Hörgeräten
versorgt werden müssen. Diese werden bei der ersten Diagnostik, besonders,
wenn Paukenergüsse festgestellt worden, manchmal noch nicht festgestellt.
Deshalb muß man bei Kindern mit Down-Syndrom besonders nach Beseitigung
von Paukenergüssen das Hörvermögen wenigstens noch einmal
kontrollieren und ggf. zusätzlich Hörgeräte anpassen.
Wenn Hör- und Sehvermögen optimiert
sind, können sich viele Kinder mit Down-Syndrom erstaunlich gut entwickeln!
Kinder mit Down-Syndrom haben häufig
starke mundmotorische Entwicklungsstörungen, meist im Rahmen einer
zentralen Lähmung (sog. infantile Zerebralparese). Im Mundbereich
äußert sich dies durch Speichelfluß ("Sabbern"),
Trinkschwäche, kraftloses Beißen und Kauen. Außerdem
liegt bei vielen Kinder mit Down-Syndrom die Zunge nicht im geschlossenen
Mund, sondern zwischen den Zähnen in geöffnetem Mund. Dies sollte
frühzeitig durch eine Trink- und Eßtheapie oder eine orofaziale
Regulationstherapie (z.B. beim Logopäden) behandelt werden. Eine
weitere Möglichkeit besteht darin, eine spezielle Mundplatte anzufertigen
(Stimulation nach Castillo-Morales). Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater
und Pädaudiologen darüber, ob eine solche Behandlung bei Ihrem
Kind in Frage kommt.
Weitere Informationen gibt es in Selbsthilfegruppen
(2,
3, 4,
5, 6,
eine Auswahl).
EEC-Syndrom
Für das EEC-Syndrom
gilt im Wesentlichen das für Spaltbildungen
gesagte. Weitere Informationen gibt es in einer Selbsthilfegruppe.
Franceschetti-Syndrom (it., sprich:
Frankes-Ketti-Syndrom; Synonym: Treacher-Collins-Syndrom, engl., sprich:
Tritscher-Kollins-Syndrom)
Für das Franceschetti-Syndrom
gilt im Wesentlichen das für Spaltbildungen
gesagte.
Moebius-Syndrom (dt., sprich: Möbius-Syndrom)
Beim Moebius-Syndrom
handelt es sich um eine Störung der jeweils letzten Umschaltstation
verschiedener Hirnnerven, bevor diese den Hirnstamm verlassen und zum
jeweiligen Versorgungsgebiet ziehen. Die Lähmungen führen zu
schweren mundmotorischen Störungen mit Störungen des Saugens,
Kauens, Schluckens, der Mittelohrbelüftung (wechselnde Mittelohrschwerhörigkeiten)
und Sprechenlernens. Da die Lähmungen relativ weit peripher angesiedelt
ist, bringt eine Übungstherapie oft nicht einen befriedigenden Erfolg.
Dennoch sollte sie versucht werden.
Zusätzlich zu den wechselnden Mittelohrschwerhörigkeiten
durch Paukenergüsse kommen manchmal angeborene Gehörgangsverengungen,
Mittelohrfehlbildungen und Innenohrschwerhörigkeiten hinzu, die die
Hördiagnostik erheblich erschweren und verzögern können.
Dies liegt in der Natur der Erkrankung! Oft sind mehrere Untersuchungstermine,
auch mit Ableitung evozierter Potentiale nach vorheriger Paukenröhrcheneinlage
in Narkose notwendig, um eine Innenohrschwerhörigkeit sicher auszuschließen
oder nachweisen zu können.
Weitere Informationen gibt es in einer
Selbsthilfegruppe.
Pierre-Robin-Syndrom (frz.; Synonym:
Pierre-Robin-Sequenz)
Kinder mit Pierre-Robin-Syndrom haben eine Gaumenspalte
sowie einen zu kleinen, zurückliegenden Unterkiefer. Die Gaumenspalte
verursacht Mittelohrbelüftungsstörungen, Paukenergüsse
und Mittelohrschwerhörigkeiten. Sie lassen sich mit Einlage von (dauerhaft
verweilenden) Paukenröhrchen beheben. Zusätzliche Innenohrschwerhörigkeiten
sind selten. Die gestörte Mundmotorik der Kinder läßt
sich übungstherapeutisch behandeln. Bei einigen Kindern ist eine
operative Verlagerung und Vergrößerung des Unterkiefers erforderlich.
Dieser Eingriff wird durch Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen durchgeführt.
Sprechen Sie bitte mit Ihrem Phoniater und Pädaudiologen darüber,
ob ein solcher Eingriff bei Ihrem Kind in Frage kommt.
Prader-Willi-Syndrom
Neben der geistigen Entwicklungsstörung der Kinder mit Prader-Willi-Syndrom
fällt eine reduzierte Motorik, besonders auch Mundmotorik auf. Im
Säuglingsalter bestehen Saug- und Trinkschwäche. Dies kann ggf.
Übungstherapeutisch beeinflußt werden. Weitere Informationen
gibt es in einer Selbsthilfegruppe.
Silver Russell-Syndrom
Einige Kinder mit Silver
Russel-Syndrom haben eine Gaumenspalte und den damit verbundenen Hör-
und Sprachproblemen. Die Stimme ist oft zu hoch. Die Sprachentwicklung
wird stark durch das geistige und motorische Entwicklungpotential bestimmt.
Weitere Informationen gibt es in einer Selbsthilfegruppe.
Wiedemann-Beckwith-Syndrom
Bei Kinder mit Wiedemann-Beckwith-Syndrom
fällt der geöffnete Kiefer mit heraushängender Zunge auf.
Ober- und Unterkiefer sind zu klein, was den Eindruck unterstreicht, daß
Zunge viel zu groß ist (sog. Makroglossie). Man geht jedoch davon
aus, daß der Eindruck täuscht. Mit orofazialer Regulationstherapie
oder Trink- und Eßtherapie kann manchmal ein Mundschluß erreicht
werden.
Aufgrund der gestörten Mundmotorik
ist mit Paukenergüssen zu rechnen, die das Hörvermögen
und die Hörentwicklung einschränken kann. Deshalb sollte im
Bedarfsfalle nicht mit Paukenröhrchen
gezögert werden. Einige Kinder sind zusätzlich innenohrschwerhörig
und benötigen Hörgeräte.
Insgesamt wird das Sprachentwicklungspotential
der Kinder mit Wiedemann-Beckwith-Syndrom aber durch die stark eingeschränkte
geistige und motorische Entwicklung bestimmt.
Williams-Beuren-Syndrom
Kinder mit Williams-Beuren-Syndrom weisen Fehlbildungen der Zähne
und des Unterkiefers auf, die mundmotorische Störungen und Mittelohrbelüftungsstörungen
verursachen können. Einige Kinder sind innenohrschwerhörig.
Außerdem fällt eine tiefe, manchmal heisere Stimme auf. Mundmotorische
Störungen lassen sich übungstherapeutisch behandeln. Paukenergüsse
sollten rechtzeitig mit Paukenröhrchen
behandelt werden. Innenohrschwerhörigkeiten werden mit Hörgeräten
behandelt. Die Stimmveränderung braucht nicht behandelt zu werden.
Weitere Informationen gibt es in einer Selbsthilfegruppe.
|